INDIEN

1o/o1/2o18
29/o6/2o18

MUTTER ALLER GESICHTER

Du bist wie eine nie endende Liebe mit tausend Gesichtern.
Lieblich, sinnlich, unbeholfen aber auch bunt, wild und brutal.
Die Einen bringst du zu Fall, die Anderen nimmst du in deinem Herzen auf.

Indien du empfängt uns gelassen mit einer breiten Strasse bis zum Horizont. Entlang streift ein hagerer Mann bekleidet mit nur einem verwaschenen Shirt. 
Die Worte purzeln aus meinem Mund. Das ist in Indien. Der Spass kann beginnen. 

Amritsar
Am Hauptplatz von Amritsar werden unsere Schuhe ins große Regal verräumt. Der Marmor ist kalt, die Fußsohlen frieren. Um Sie zu reinigen laufen wir durch das flache Wasserbecken und kleiden unser Haar mit einem Tuch. Nur noch wenige Stufen und wir sind da. Die heilige Pracht der Sikhs strahlt uns an.  
Würdevoll bildet der goldene Tempel die glitzernde Mitte.
Unzählige Eindrücke, Farben, Gerüche, Geräusche, spürbare Nähe sprudeln aus deinem Topf. 
Entspannte Stimmung entfaltet sich und umhüllt uns wohlig. Der Gang um das rießige Tempelbecken wirkt meditativ. Die farbig gefleckten Fische ziehen ihre Bahnen, Männer unterziehen sich gebräuchlichen religiösen Waschritualen und ziehen ihre kunstvollen Turbane, namens Dastar, in perfekte Form. 
Ein wenig verweilen wir über das Abendrot hinaus und ziehen uns zufrieden und vollgesogen mit Bildern zurück. 

Der Verkehr 
Wir wollen weiter nach Agonda in Goa und freuen uns darauf. Schlappe 2000 Kilometer liegen vor uns. Auf dem Weg erleben wir eine Abfolge von Verkehrschaos par excellence. 
Es ist unglaublich, erschreckend und belustigend zugleich auf welche Verrücktheiten man auf der Strasse trifft. 
Allem voraus gilt das Prinzip der Gleichheit. Egal ob Karre, Kind oder Kuh, alle sind überall unterwegs. 
Der heilige Vierbeiner spaziert quer Feld ein. Steht stoisch auf der Fahrbahn und harrt mit Plastikmüll im Magen aus.
Fahrzeuge fahren grundsätzlich rechts, links und mittig Hauptsache mit eingeklappten Seitenspiegeln, alles andere wäre nicht wirklich platzsparend. 
Die Hupe tönt die Musik der Strasse. Kraftvoll und laut muss die sein.
Verkehrslücken sind umgehend zu befahren. Wie das Spiel Tetris, fülle ich die Lücke löst sich der Verkehr auf. 
Wichtig ist auch das Parken. Man parkt wie es gerade passt. Für einen schnellen Chai am Eck ist es völlig legitim ein Verkehrschaos auszulösen. Beim Inder zählt der Moment nicht das was danach kommt.
Verständlicherweise hängt das jede westliche Ideologie von einem effektiven Verkehrssystem völlig aus den Angeln. Eine gefühlte Zerreißprobe beginnt sobald der Reisende selbst hinter dem Steuer sitzt. 
Die Nerven liegen blank, Groll verformt sich zu irren Gebilden während man Teil dieser Allerleisammlung auf der Strasse ist. 
Der weltweit bekannte Werbeslogan, Incredible India, macht seinem Namen alle Ehre. 

Goa
Angekommen im Paradies. Jetzt wollen wir alle nur Urlaub vom Reisen. Typisch kitschiges Poskartenmotive mit Palmen, Strand und Sonne und wir mittendrin.
Mehrere Wochen dieses Bühnenbilds rücken das innere Gleichgewicht in ihre ursprüngliche Position und der Austausch mit anderen Reisenden beflügeln den eigenen Reisewind. Familie zu treffen und Yoga am Strand bringen Freude und Energie. Neue Pläne entfalten sich und wir gucken weiter nach Süden.

Mysore
Auf einen Katzensprung besuchen wir Hampi mit seinen surrealen Felsformationen und leuchtend grünen Reisterassen.  
Weiter geht es in das majestätisch in die Jahre gekommene Mysore. 
Wir stehen mit unserem Bus im Garten eines alten Kolonialgebäudes, umgewandelt in ein schmuckes Hostel. Hier ist ein sehr angenehmer Ort geschaffen worden. Einzigartiger Charme und ein lockerer Flair schwingt leicht, wie ein Seidentuch im Wind. Die Szenerie belebt. 
Während wir in saftige knallrote Melonenecken beißen, verzaubert uns die Architektur der Maharadschas am Wegesrand. Alteingesessene Lokale in schattigen Aleen schaffen Platz zum beobachten des alltäglichen Geschehens.

Ammas Ashram
Die Leine der Zeit zieht uns weiter hinein in tropische Gebiete und mit ihr die Vorfreude auf einen ganz besonderen Ort in Indien. Mitten in einem Meer von Plamen liegt Amritas Ashram. 
Hinter dem Eingangstor thront das Herzstück, der Tempel Kali mit ihrer pinken Stadt.
Es fühlt sich gut an wieder hier zu sein, vertraut.
Hier herrscht Koexistenz zwischen den Einheimischen, den westlichen Menschen und den Besuchern aller Nationen. Jeder ist herzlich Willkommen.
Amma ist ein weiblicher Guru auch bekannt als die umarmende Mutter. Weltgewandt und offen steht Sie für ein positives Miteinander und fördert Bildung wo sie nur kann. 
Eindrückliche Chantnings und Pujas, Tempelzeremonien, gehören zu den festen aber auch freiwilligen Ritualen. Entschleunigung im Hier und Jetzt zu sein richten den Fokus aufs Elementare. Sie entfalten Kraft in jedem Einzelnen um ein Miteinander zu ebnen.
Seit wir auf Amma getroffen sind, schwingen die Fäden der Verbindung immer wieder zusammen und lösen sich genauso locker. Das ist das wunderbare. 
So verbringen wir mehrere Wochen hier.
Mit dem letzten Blick auf die strahlende Kali begeben wir uns zurück in den lieblichen Wahnsinn dieses Landes.
Paul, aka the Driver, rast mit heissem Rad durchs geschehen. Locker flockig hupt er wild und schüttelt indische Fahrmanöver aus dem Ärmel. Doch das laute Schimpfen lässt er sich nicht nehmen. 
Hinter ihm trötet es lautstark aus der Autohupe. Das ungebändigte Gedrängel macht ihn wütend. Der Fahrer fährt neben uns ran und grinst uns an. Kulturtypisch wackelt er seinen Kopf von links nach rechts. 
Welcome to india my friend schallt er uns entgegen.
Paul ist mal wieder perplex und doch amüsiert.

Zum südlichsten Punkt
Ziel unserer Fahrt, Kanyakumari. Der südlichste Punkt Indiens. Vor uns Sir Lanka. Rechts von uns irgendwo im Meer die Inselgruppen der Malediven.
Drei Meere schwappen hier aufeinander. Rechts das arabische Meer, von vorne kommt der indische Ozean und von links fliesst das bengalisches Meer hinzu.
Vivekanandas Statue, ein hinduistischer Swami thront im Übermaß an der Spitze und Gandhis Asche hat hier anscheinend seine letzte Ruhe gefunden. 
Trotz dieses Wissens übermannt uns keine spektakuläre Stimmung und für den Moment haben wir vergessen warum wir soweit gefahren sind. Ach irgendeinen Sinn wird es wohl haben. 
Ideenfrei geht es tags darauf retour Richtung Norden. 
die Ostküste entlang streifen wir Städte wie das heilige Madurai, mit seinem poppigen überdimensionalen Tempel. Das französisch, kolonialistische Pondicherry mit seiner Utopiestadt Auroville, dessen Areal wir einige Tage durchfahren und auf eindrucksvolle Geschichten mit grossartigen Ideen stoßen.

Hyderabad
Wir durchqueren die für uns durchgeknallte Stadt Hyderabad. Zwei Tage Smok, Stunden im Stau und die krasseste Kreuzung die wir je gesehen haben. Aus fast zwanzig Spuren biegen alle zeitgleich ab. Fussgänger überall verteilt.
Mittig auf einem Sockel, ein einsamer Polizist mit Pfeife der den Verkehr in seine Bahnen lenkt. Oh Wunder, es funktioniert!
Der Weg führt uns in eine katholische Sportjugendherberge. Wir finden ein Zimmer. Während die Klänge der Messe aus dem Keller dudeln, üben die Kinder und Jugendlichen Karate und Basketball im Innenhof. der Leiter der Herberge gabelt uns auf und macht uns zu Gästen einer gerade stattfinden Taufe. Dabei waren wir auf der suche nach einem Lokal um unseren Hunger zu stillen. Geduldig nehmen wir Platz und lauschen den Reden für das ruhige Baby, noch kurz beantworten wir neugierige Fragen und ziehen weiter.

Es vergeht kein Tag ohne verrückte Zufälle, surreale Momente oder rätselhafte Begegnungen.
Sie kommen von selbst. Das macht Indien zudem was es ist.
Ein Strauß voller Erlebnisse. Facettenreich, bunt und intensiv.

Planänderung und ihre Folgen
Während wir Richtung Norden tingeln ändert sich der eigentliche Plan weiter Richtung Vietnam zu fahren. Myanmar ist nur mit Guide zu bereisen und die thailändischen Grenzen sind für Camper bis auf weiteres geschlossen. Bleibt in Nepal auszuharren. Doch das ist für Paul ausgeschlossen. Noch so ein chaotisches Volk ist zu viel für ihn.
Er will lieber Richtung Mongolei. Somit tauschen wir einfach das Ziel Südostasien gegen Zentralasien aus. Die Route ist Pakistan, China und nach Kirgistan.
Wir brauchen ein Pakistan Visum. Ein Visum in Delhi zu bekommen, ist unmöglich sagt man uns. Pakistan und Indien sind keine Freunde. 
Egal wir probieren es. 
Die Botschaft weist uns ab. Durch erneute Präsenz rücken wir die Wichtigkeit unseres Anliegens ins Zentrum und bekommen sogar Einlass in das Hauptgebäude der Botschaft. 
Zehn Besuche später kleben die Visa in unseren Pässen. Wir sind glücklich und vorallem beruhigt.
Der nette Herr am Eingang verabschiedet uns mit den Worten. Sie sind die ersten Ausländer seit fünf Jahren die ein Visum erhalten haben. Grüssen sie Pakistan von mir.
Wir haben einen ganzen Monat Dehli hinter uns. Voller Höhen und Tiefen, Ungewissheit und vielen Momenten des Wartens. Das bald ablaufende indische Visum ist eine tickende Zeitbombe in unseren Köpfen.
Schneidende Höchstwerte von 48 Grad bringen uns einige verzweifelte Besuche in klimatisierten Shoppingmalls und viele Schweissperlen bei den umfangreichen Sehenswürdigkeiten in der Stadt.
wir lernen aus unzähligen Preisverhandlungen mit gewitzten Rikschafahrern. 
Essen die großartigsten Süßwaren und haben gefühlt alle Strassenstände mit indischen Leckereien besucht .

Nach sechs Monaten ist der Koffer voller unvergesslicher Kuriositäten der ganz besonderen Art. Irrwitzige Geschichten die wir nie vergessen werden.
Meine Liebe zu dir hat sich weiter gefestigt.
Paul muss sich von dem gewaltigen Liebesschock erstmal erholen.